Platon, Buddha und Ein Kurs in Wundern

31.07.2020

Schon früh in meiner Beschäftigung mit Ein Kurs in Wundern war mir bei den vier Hindernissen vor dem Frieden (T-19.IV) klar, dass es dem Kurs eigentlich vor allem um das vierte Hindernis geht: die Angst vor Gott. Verallgemeinert ausgedrückt beinhalten die übrigen Hindernisse Themen, die in spirituellen Systemen bearbeitet werden, die weniger weit gehen als der Kurs, schlussendlich aber zu ihm hinführen können. Nach jedem Hindernis wird eine neue Stufe erreicht. Auf der ersten Stufe wird die unbewusste Schuld externalisiert; typisches Beispiel ist das Christentum, wo das Problem irgendwo da draußen zu sein scheint. Auf der zweiten Stufe wird die Schuld internalisiert; typisches Beispiel ist der Buddhismus, wie wir im Folgenden sehen werden. Auf der dritten Stufe werden beide Arten, wie sich die unbewusste Schuld bemerkbar macht, durch ein Denksystem, wie es Ein Kurs in Wundern lehrt, mit wahrer Vergebung aufgelöst. In der Erfahrung der vierten Stufe ist die unbewusste Schuld vollständig getilgt und es wird unbegrenzter Frieden erfahren, die wirkliche Welt, der glückliche Traum.

Die Beschreibung des dritten Hindernisses hat mich stark an den mir soweit bekannten Diamantweg-Buddhismus erinnert. Da geht es um den Tod, und damit scheinen die Buddhisten ein Problem zu haben, denn sie lernen und praktizieren in der Meditation des Phowa, wie das Bewusstsein im Moment des Todes den Körper in der richtigen Art und Weise im Scheitel verlässt. Der Tod ist unabdingbarer Bestandteil ihres Glaubenssystems eines sich evolutionär entwickelnden kollektiven Bewusstseins oder Geistes jenseits der Erscheinungen von Raum und Zeit, der diese Erscheinungen hervorbringt. Diese Evolution bedingt den ewig sich wiederholenden Kreislauf von Geburt und Tod, aus dem Buddhisten aber meinen aussteigen zu können, ein Widerspruch, und das bezeichnen sie als Erleuchtung.

Ein bekannter Zen-Buddhist, der diese Sache bis zur letzten Konsequenz durchgezogen hat, ist Adyashanti. Auf eindrückliche Weise berichtet er in seinem Buch "Tanzende Lehre - Erleuchtung für Herz, Bauch und Kopf" von seinem endgültigen Erwachen, wie ihm dabei ein Bild von unendlich vielen vergangenen Inkarnationen, wie Kopf an Kopf gereiht, erschien. (S.24) Aufgrund dieser Erleuchtungserfahrung sah er sich selbst als erste Ursache, als Gott, und das sei alles, was es gibt: die Wahrheit. Das ist genau das, was das Ego in seinem Wahnsinn behauptet und im Kurs als Usurpation bezeichnet wird: sich widerrechtlich Gottes Rolle als erste Ursache der Schöpfung anzueignen. Weiter beschriebt Adyashanti, wie immer noch Verdrängtes oder Unbewusstes in Form von Schuld hervortrat. (S.239)

Zweifellos hatte Adyashanti durch jahrelange spirituelle Praxis den Wert der Individualität und des Urteilens soweit gemindert, dass er schon sehr weit fortgeschritten war, um zu dieser Erfahrung zu gelangen. Dieses spontane Erwachen, von dem heute auch andere spirituelle Lehrer in der einen oder anderen Form berichten, scheint aber eine kolossale Täuschung zu sein, die letzte Verteidigungslinie des Ego - Einssein mit dem kollektiven Ego - um zu verschleiern, dass es selbst illusionär ist. Der Widerspruch scheint darin zu bestehen, dass dieses illusionäre Einssein in ein Bewusstsein und in ein schuldbehaftetes Unterbewusstsein aufgeteilt ist, von dem wir nichts wissen, was schlussendlich in einer Sackgasse mündet. Weil die Buddhisten die unbewusste Schuld nicht mehr durch Urteilen abschieben können, wird sie internalisiert und kann als depressives Gefühl oder Minderwertigkeit erfahren werden, was folglich zu psychischen Problemen führen kann.

Trotz alledem macht der Buddhismus einen Riesenschritt in die richtige Richtung und ist für viele Menschen zugänglich, für die der Kurs noch zu radikal ist. Höchstwahrscheinlich war ich in einem oder mehreren früheren Leben auch Buddhist. Denn als ich 2009 im Museum Rietberg in Zürich in der Ausstellung mit dem Titel Buddhas Paradies - Schätze aus dem antiken Gandhāra vor einer auf einem Podest aufgestellten mannshohen Buddha-Figur aus grauem Schiefer zu stehen kam, wurde ich von einem tiefen inneren Frieden erfasst. Die Skulptur strahlte eine Ruhe und Erhabenheit aus, wie ich es noch nie erlebt hatte und zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Das gewellte Haar und das schulterdeckende Kleid mit feinem Faltenwurf hätten auf eine mediterrane Herkunft hingedeutet, eine antike griechische oder römische Gottheit, wären da nicht die typischen, von Buddha-Figuren bekannten Merkmale wie die Stellung der Hände, die langgezogenen Ohren mit den Aussparungen und nicht zuletzt der Schnurrbart gewesen. Die Figur symbolisierte auf einprägsame Weise, wie verschiedene spirituelle Wege miteinander verknüpft zu sein scheinen und alle unweigerlich über verschiedene Wege zum gleichen Ziel des inneren Friedens führen müssen.

Die allerersten Darstellungen des Buddha als Person wurden von griechischen Bildhauern angefertigt, die im Nachgang des Asienfeldzugs Alexander des Großen und des folgenden kulturellen Austauschs nach Gandhāra kamen. Sie wurden zu Vorbildern aller späteren Darstellungen des Buddha. Aus dem kulturellen Synkretismus zwischen der klassischen griechischen Kultur und dem Buddhismus entwickelte sich über einen Zeitraum von 800 Jahren in dem Landstrich, der heute Afghanistan und Pakistan umfasst, der Graeco-Buddhismus. Diese hellenisierte Form des Buddhismus expandierte ab dem 5. Jahrhundert nach Nordasien, über die Seidenstraße nach Ostasien, nach China, Korea und Japan, und bildete die Basis des Mahayana-Buddhismus, des Ursprungs des Zen. Von Gandhāra wird auch angenommen, dass hier der Geburtsort des Gründers des tibetischen Buddhismus ist, und der Diamantweg-Buddhismus ist eine Variante davon.

Jesus bezeugt in seinem Kurs sowohl Platon aus der klassischen griechischen Kultur wie auch dem Buddhismus seine Wertschätzung. An mehreren Stellen nimmt er mit dem Symbol der "Ketten" Bezug auf Platons Höhlengleichnis. "Meine Rolle ist nur die, deinen Willen aus den Ketten zu lösen und ihn zubefreien." (T-5.VI.2:8)

In Platons Höhlengleichnis vergleicht Sokrates Unwissende mit Menschen, die in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung leben und von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln sind, so dass sie immer auf demselben Fleck bleiben und wegen der Fessel den Kopf nicht herumdrehen können. Alles, was sie erblicken, sind Schatten eines Geschehens hinter ihnen, die ein entferntes Licht auf die Höhlenwand vor ihnen wirft. Da sie zeitlebens keine andere Erfahrung gemacht haben, halten sie die Schatten für die Wirklichkeit. Wenn nun einer entfesselt und ans Licht außerhalb der Höhle geführt würde, widerstrebte ihm erst einmal die gewohnte Wirklichkeit zu verlassen. Er bräuchte Zeit für die Gewöhnung ans Licht und um zu lernen, dass die Schatten an der Höhlenwand nicht der Wirklichkeit entsprächen. Wenn er die Welt außerhalb der Höhle verstanden hätte, wieder zu den anderen in die Höhle hinabsteigen und ihnen erklären würde, woher die Schatten kämen, würden sie ihn für einen Schwindler halten und sich darin bestärkt fühlen, dass es sich nicht lohne, sich entfesseln zu lassen und die gewohnte Umgebung zu verlassen.

Platon beschreibt im Höhlengleichnis in vortrefflicher Weise die Matrix, in der wir uns selbst gefangen gesetzt zu haben glauben und den Widerwillen, sich daraus befreien zu lassen. Dazu eine weitere Analogie aus dem Kurs: "Gefangene, die jahrelang in schweren Ketten lagen, hungernd und ausgezehrt, schwach und erschöpft, und deren Augen so lange in der Dunkelheit gesenkt gewesen sind, dass sie sich nicht ans Licht erinnern, springen nicht voll Freude auf im Augenblick, in dem sie freigelassen werden." (T-20.III.9:1) Platon vertrat das Konzept, dass alle physischen Erscheinungen von einer einzigen Idee - der Idee des Guten - hervorgerufen werden und miteinander interagieren.

Die Verbindung von Ein Kurs in Wundern und Buddhismus erhellte sich mir an einem Abendvortrag mit Lama Ole Nydal, dem spirituellen Lehrer des Diamantweg-Buddhismus im Westen. Er erklärte, dass der Buddhismus eigentlich keine Religion sei, weil er sich nicht mit Gott und der Rückkehr in den Idealzustand des Himmel beschäftigt, sondern an ein einziges allumfassendes Bewusstsein glaubt, das sich in einem evolutionären Prozess befindet. Nydals Beschreibung des buddhistischen Glaubens weist eine frappante Ähnlichkeit zur Idee des Guten von Platon auf, so dass beide Denksysteme etwa auf der gleichen Stufen einzuordnen wären. Weiter erläuterte er verschiedene spirituelle Praktiken, zum Beispiel die weiter oben erwähnte, um durch die Ergebnisse und Wirksamkeit dieser Praktiken diesen Glauben zu begründen. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten mit dem Kurs, so das Bestreben, alles Urteilen aufzugeben. Nydal beschrieb den Geist als einen Spiegel, der vom Urteilen zu reinigen sei, bis ein makellos reiner Spiegel übrig bleibt.

Genau diese Symbolik greift Jesus im Kurs auf, geht aber einen entscheidenden Schritt weiter, indem er klar macht, was im gesäuberten Spiegel zu sehen sein wird. "In dieser Welt kannst du ein makelloser Spiegel werden, in dem die Heiligkeit deines Schöpfers aus dir heraus zu allem ringsum leuchtet. Doch dürfen keine Spiegelungen von Bildern anderer Götter den Spiegel trüben, der Gottes Widerspiegelung enthalten soll. Die Erde kann entweder Himmel oder Hölle widerspiegeln, Gott oder das Ego. Du brauchst den Spiegel nur rein und klar von allen Bildern verborgener Dunkelheit zu bewahren, die du auf ihn gezeichnet hast." (T-14.IX.5:1,3-5) Im Übungsbuch erscheint diese Symbolik ebenfalls. "Die Wahrnehmung ist ein Spiegel, keine Tatsache. Und das, worauf ich schaue, ist mein Geisteszustand, der sich außen spiegelt." (Ü-II.304.1:3-4)

Hat nun der Buddhist seinen Spiegel gereinigt, also das Urteilen weitgehend abgelegt, und ist sich der Bedeutungslosigkeit des Todes voll bewusst geworden, dann hat er quasi das dritte Hindernis überwunden und könnte bereit sein, einen Schritt weiter zu gehen. Sonst bleibt er, wie wir das bei Adyashanti gesehen haben, in einer Sackgasse von Widersprüchen stecken. Schon der historische Buddha - Siddhartha - war offenbar noch nicht ganz am Ziel angelangt. Die Art und Weise, wie Jesus uns im Kurs das dritte und vierte Hindernis vor dem Frieden präsentiert, erweckte bei mir den Eindruck, als ob Jesus und Buddha ein Team waren, in etwa mit der Ansage Buddhas: "Ich nehme das dritte Hindernis und du Jesus das vierte." Mit dem Erscheinen von Gary Renards viertem Buch "Als Jesus und Buddha sich kannten" wurde meine Vermutung bestätigt. Obendrein ist darin beschrieben, wie sie beide Schüler in Platons Akademie gewesen sein sollen.

Hinweis: Dieser Text inklusive einer Buddha-Abbildung und Quellenangaben steht auch als PDF zum Download bereit.

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