Vergebung – eine Zwischenbilanz

24.04.2025

Eine Spiritualität, in der es nur um Liebe, Harmonie und Licht geht, würde in einer Beliebtheitsskala weit vorne liegen. Wir beschäftigen uns hier aber mit Ein Kurs in Wundern und das zentrale Thema ist Vergebung. Vergebung wird für alles gebraucht, was uns in irgend einer Form Leiden verursacht und uns des Seelenfriedens beraubt. Und wenn du ganz ehrlich bist, dann wirst du eingestehen müssen, dass unser Leben von physischem und psychischem Leiden begleitet wird. Das beginnt mit der Geburt, setzt sich im Säuglingsalter fort, wenn die ersten Zähne durchbrechen, dem häufigen Hinfallen beim Lernen zu gehen, und von den vielen Kinderkrankheiten haben wir noch gar nicht gesprochen. Als scheinbar Erwachsene machen wir uns dann gegenseitig das Leben schwer. In unserer Biographie sammeln sich leidvolle Erfahrungen wie die Glieder einer Kette. Mit der Kurspraxis ersetzen wir sie durch die Kette der Vergebung.

Als ich noch berufstätig war und wie die meisten schon lange in dieser Firma gearbeitet hatte, wurde eine neue Projektgruppe gebildet. Gleich zu Beginn fand ein zweitägiges Seminar außerhalb der Firma statt mit dem Ziel, dass wir danach so gut wie möglich zusammenarbeiten konnten. Bei der vielleicht wichtigsten Übung sollten wir uns Dinge aus der Vergangenheit vergegenwärtigen, die uns belastet oder verletzt hatten, um anschließend diese Dinge mit der entsprechenden Person zu besprechen. Dazu begaben wir uns jeweils zu zweit auf einen kurzen Spaziergang. Bei mir hatten sich zwei Kollegen gemeldet, bei denen etwas hängengeblieben war. Vielleicht in einer stressigen Situation ist irgendeine unbedarfte Äußerung ohne spezielle Absicht gefallen, die bei der anderen Person sauer aufgestoßen war oder eine empfindliche Stelle getroffen hatte. Was bei mir schon längst vergessen war, hatten die anderen mir immer noch nachgetragen. In den Gesprächen innerhalb dieser Übungsanlage war es jeweils möglich, die Situation zu klären und zu beruhigen.

Im Normalfall steht uns diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Oder was machen wir, wenn die Person, der wir etwas nachtragen, nicht verfügbar ist? Jemandem etwas nachtragen kann nicht die Lösung sein, sondern wahre Vergebung üben, bis die Vergangenheit bedeutungslos ist, egal um was es sich handelt. Das allein ist dauerhafte Erlösung. Ansonsten bleiben wir das Opfer von äußeren Umständen, über die wir keine Kontrollen haben.

Als ich mit Ein Kurs in Wundern angefangen habe, wurde mir das Verständnis dafür durch das Buch Die Illusion des Universums von Gary Renard eröffnet. Wichtige Punkte sind: Gott hat die Welt nicht erschaffen; sie ist das Machwerk unseres gespaltenen Geistes. Der Heilige Geist ist unser höheres Selbst, hat an der Spaltung nicht teil und ist unser Führer nach Hause zu Gott. Jesus ist nicht allein der Sohn Gottes oder Christus, sondern wir alle zusammen als reiner Geist, ohne Ego. Das Bewusstsein ist lediglich eine vorübergehende Täuschung des Geistes. Der größte Teil davon ist unbewusst und beinhaltet die gesamte Erinnerung an alle Erfahrungen. Durch wahre Vergebung wird alles Unbewusste geläutert und bereinigt, bis alle unbewusste Schuld und das Ego vollständig transzendiert sind. Ist alle Dunkelheit aus unserem Geist entwichen, bleibt das Licht unseres ewigen Seins übrig: Erleuchtung. Wir treten in die wirkliche Welt, in den glücklichen Traum, ein. Dort ist das Tor zum Himmel, das wir mit dem Ablegen des Körpers mit allen gemeinsam als eins durchschreiten werden. Wir werden erkennen, dass alles nur ein nichtiger Traum war.

Zentral für das Verständnis ist, dass der Kurs eine andere Form von Vergebung hat als die Welt. Ich erhebe mich nicht in Barmherzigkeit über einen anderen, um in Großzügigkeit einem elenden Sünder zu vergeben. Immer liegt die Ursache für die Vergebung im eigenen Geist und der andere ist der Spiegel meines inneren Geisteszustands. Als mir das alles klar wurde und ich die Folgen für mich zu begreifen begann, fing ich mit den Lektionen im Übungsbuch an. In Garys erwähntem Buch ist eine Vergebungsformel, die ich auswendig lernte und anzuwenden begann. Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung der Lektionen 31 bis 34 aus dem Übungsbuch: Ich bin nicht das Opfer dieser Welt, die ich sehe. Ich habe die Welt erfunden, die ich sehe. Es gibt eine andere Art, die Welt zu betrachten. Ich könnte stattdessen Frieden sehen. In der folgenden Formel soll die zu vergebende Person oder Situation und das Problem konkret ausformuliert werden:

Du bist eigentlich gar nicht hier. Wenn ich dich für schuldig oder für die Ursache des Problems halte, dich aber erfunden habe, dann müssen die eingebildete Schuld und Angst in mir sein. Da die Trennung von Gott nie statt gefunden hat, vergebe ich uns "beiden", was wir nie getan haben. Übrig bleibt nur die Unschuld, und ich verbinde mich in Frieden mit dem Heiligen Geist. (S. 367)

Es ergibt also keinen Sinn, jemand anderem die Schuld für meine Probleme in die Schuhe zu schieben und Gott kann für nichts, was in der Welt geschieht, verantwortlich gemacht werden. In der Folge ging es bei mir so richtig los mit all den verdrängten Konflikten, die jetzt als Gedanken hoch kamen und worauf ich wahre Vergebung anwandte. Es begann mit den Erinnerungen an die kürzlich verlassene Arbeitsstelle. Ich konnte keine Ruhe finden, bevor ich nicht täglich fünfzig- bis hundertmal obige Vergebungsformel angewendet hatte. Und das zog sich über mehrere Monate hin, bis danach andere Themen aus dem Unbewussten auftauchten. Das Gute an dieser Art der Vergebung ist, dass man sie jederzeit anwenden kann, weil sie in unseren Gedanken im Geist stattfindet, und wir zu niemandem hingehen müssen, um ihm zu erklären, dass wir ihm jetzt vergeben haben. Ich gewöhnte mir an, Vergebung bedingungslos auf jeden und alles anzuwenden, von der kleinsten Verstimmung bis zum größten Ärger und Hass. Irgendwann hatte ich aber die Nase voll vom Kurs und dem dauernden Vergeben. Ich sperrte alle Bücher weg. Ruhe. Endlich Ruhe. Nach drei Tagen Pause holte ich alles wieder hervor und machte da weiter, wo ich aufgehört hatte.

Später hat sich eine lokale Kursgruppe formiert. Bis heute treffen wir uns zweimal pro Monat. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung hatte ich gleich zu Beginn Die Illusion des Universums allen als Lektüre ans Herz gelegt. Auf die Anwendung wahrer Vergebung nach obiger Formel hatte ich ebenfalls hingewiesen und erklärt, dass man 1'000 Mal vergeben muss, um zu erleben, dass es funktioniert, und nach 10'000 Mal wird man erfahren, dass es wirkt. Mit dieser Ansage ging ein Raunen durch den Raum und ich wurde mit ungläubigen Blicken bedacht: Geht es noch?

Davor hatte ich etwas Erfahrung mit dem Diamantweg-Buddhismus gesammelt. Da werden Mantras rezitiert. Das erste wird 11'111 Mal wiederholt und danach folgen die "richtigen" Mantras, die 111'111 Mal wiederholt werden, genau, Mehrzahl, es gibt mehrere. Und was lernt man dabei? Richtig, spirituelle Disziplin. Ohne geistige Disziplin ist nichts zu erreichen. Das trifft genauso auf die Vergebung zu. Gedanken umherschweifen lassen, in Phantasien schwelgen oder die Gedanken immerfort um ein Problem kreisen lassen, ist nicht die Lösung. Und wie oft müssen wir vergeben? In der Offenbarung steht eine Zahl von 144'000. Das nur als Orientierungshilfe. Als Grund für alles Leiden betrachtet der Buddhismus das Anhaften an den Dingen der Welt. Der Kurs geht einen Schritt weiter und lehrt uns, dass die Ursache für alles Leiden von der scheinbaren Spaltung des Geistes durch die Trennung von Gott kommt. Mit wahrer Vergebung wird die Spaltung geheilt und das Anhaften an den weltlichen Dingen aufgelöst. Im Textbuch steht eine weitere Vergebungsformel, die wir immer anwenden können, wenn wir nicht in Frieden sind:

Ich muss mich falsch entschieden haben, weil ich nicht in Frieden bin.Ich habe die Entscheidung selbst getroffen, kann mich aber auch anders entscheiden.Ich will mich anders entscheiden, weil ich in Frieden sein will. Ich fühle mich nicht schuldig, weil der Heilige Geist alle Folgen meiner Fehlentscheidungen aufheben wird, wenn ich ihn nur lasse. Ich beschließe, ihn das tun zu lassen, indem ich ihm gestatte, für mich die Entscheidung für Gott zu treffen. (T S.90)

Mit den Jahren kann sich die Vergebungsformel verkürzen. Wichtig dabei ist, sich zu erinnern, dass wir in Unschuld am Träumen sind und wir nur Träume vergeben. Hier ein paar Beispiele aus Garys weiteren Büchern:

Ich bin unsterblicher Geist. Dieser Körper ist nur ein Bild.Er hat nichts mit dem zu tun, was ich bin.

Du bist reiner Geist. Ganz und unschuldig. Alles ist vergeben und aufgelöst.

Ich bin unschuldig und nichts ist geschehen. Der Heilige Geist weiß, was ich bin. Ich erwache in Gott.

Nach rund 15 Jahren Kurs- und Vergebungspraxis können alle, die Vergebung angewendet und die ersten 10'000 Mal weit hinter sich gelassen haben, bestätigen, dass die Wirkung in Form eines friedvollen Geistes nicht von der Hand zu weisen ist. Der Effekt ist so frappant, dass es einfach kein zurück mehr geben kann. Wer jedoch die Bereitwilligkeit nicht aufbringen konnte oder nicht sehen wollte, was es zu vergeben gibt, hängt nach wie vor in der Opferrolle fest. In der Einleitung steht, dies ist ein Pflichtkurs, was heißt, dass alle irgendwann die Vergebungsarbeit leisten werden. Die einzige Freiheit scheint im Aufschub zu liegen, um noch etwas länger im Leiden zu verharren.

Geht es nicht einfacher? Können wir nicht einfach direkt zu Gott gehen? Nein, das würde uns verbrennen, buchstäblich. Solange nur ein Hauch von Ego in unserem Geist ist, hängt unsere Identität daran fest und diese Identität existiert in der Gegenwart Gottes einfach nicht. Wir brauchen nicht einmal ein klitzekleines bisschen Ego, um in dieser Welt zu funktionieren. Denn das wäre etwa gleichbedeutend mit der Idee, ein bisschen von der Hölle im Himmel einbauen zu wollen. Wenn wir mit Vergebung aber das Ego auflösen, wird nicht automatisch alles besser. Das Leiden mag nicht verschwinden, aber sein Griff um unseren Geist lockert sich und wir erheben uns über das Schlachtfeld. Wir blicken mit Empathie auf diese Welt, leiden aber nicht mehr am Leiden der Welt, sind immer mehr in Frieden und alle Unzulänglichkeit vergeht gleichermaßen mit dem Ego.

Durch Vergebung werden wir harmlos. Harmlosigkeit bedeutet die Unfähigkeit anzugreifen und sich zu verteidigen. Es wird uns immer bewusster, wenn wir jemanden verbal angreifen, dass das uns nicht gut tut und so werden wir mit der Zeit ganz davon ablassen. Dasselbe gilt für das Rechtfertigen, das ein Schuldgefühl voraussetzt. Mit dem Auflösen der unbewussten Schuld durch Vergebung entfällt das Bedürfnis, sich rechtfertigen zu müssen. Und es fällt uns umso mehr auf, dass wir in einer Welt der Rechtfertigung leben. Es entfällt auch das Bedürfnis, sich einmischen zu müssen, die eigene Meinung kundzutun oder andere zu berichtigen. Das ist Aufgabe des Heiligen Geistes, unsere ist nur Vergebung. Es genügt uns, in aufrührerischen Zeiten in Frieden zu ruhen.

Wahre Vergebung und die Metaphysik des Kurses beinhalten die Idee, dass niemand für die Handlungen des Körper verantwortlich ist, weder ich für die Taten und Äußerungen meines Körpers noch sonst wer, weder Putin noch Trump. Aber ich, und immer nur ich, bin zu 100 Prozent verantwortlich, mit wem ich die Sache betrachte, ob mit dem Ego oder mit dem Heiligen Geist. Das ist die einzige wirkliche Wahl, die ich habe. Mit dem Ego betrachtet ist alles Angst erregend, widersprüchlich und ergibt überhaupt keinen Sinn. Mit dem Heiligen Geist betrachtet dient alles dem Erwachen von Gottes einem Sohn. Ich kann Ihm alles übergeben, Ihn bei jedem Problem zu Rate ziehen und in der Stille des Geistes Seine Antwort empfangen. Mit Ihm bin ich nie allen, ruhe in Gott und bin sicher. Mit der Frage "Wo bin ich mit meinen Gedanken?" bin ich sofort zurück im Heiligen Geist.


Friede sei mit dir.

MEDEA, die verlorene Tochter © Bernhard Gerstenkorn
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